Bericht

Erfahrungen beim Üben von Qigong (2)

von Christiane Welk – 01.02.2004

Das Üben geht weiter und es verändert sich. Vor der jeweiligen Form stellt sich die Vorstellung dessen ein, was ich gleich tun werde, ich bin im Fluss und fange an, mit den Formen zu spielen, Elemente herauszunehmen, den Rhythmus, das Tempo zu verändern oder die Formen im Gehen zu üben – um dann wieder sehr zufrieden zu der langsamen, ruhigen Grundform der jeweiligen Übungssequenz zurückzukehren.

Ich spüre, wie sich durch das Üben Verspannungen (z.B. im Schulterbereich) lösen, es einen Ausgleich zwischen rechter und linker Körperseite gibt und sich ein größeres Gleichgewicht zwischen beiden Seiten einstellt.
Es gibt einen Gleichklang in mir, eine Ausgeglichenheit, Gelassenheit und Ruhe bei sehr großer Wachheit und Präsenz und ein Gewahr - werden des inneren Lebensstromes.

Gerade der spielerische Zugang zu den Tieren, das ausführliche Üben wesentlicher Elemente dieser Form, diese größer und kleiner, schneller und langsamer werden zu lassen, legt wichtige Spuren auf dem Weg zu einer differenzierten Wahrnehmung und Achtsamkeit, die in viele emotionale und kognitive Bereiche hinüberstrahlt.

Die Bedeutung des „Spielerischen“Die Bedeutung des „Spielerischen“ liegt für mich in der Schaffung einer „Zwischenrealität“ (Erickson), einer Mittlerstellung zwischen Innen- und Außenwelt. Es ist eine nach außen gewendete Phantasiewelt, die hier erschaffen wird, ein Erproben der anderen Perspektive.

Körper und Geist werden hier wirklich als Einheit gesehen und gelebt.

Was sind für euch vertiefende Gesichtspunkte, welche weiteren Vertiefungskriterien findet ihr? So lautete die Fragestellung für eine Gruppenarbeit im Vertiefungsseminar zu den Acht Brokaten. Neben anderen Begriffen, die alle auch schon in den Schriften Prof. Jiaos zu finden sind, tauchte hier für mich der Begriff der „heiteren Gelassenheit“ oder „gelassenen Heiterkeit“ auf.

Hier sehe ich Parallelen zu dem, was W. Schmid in seinem Aufsatz „Die Wiederkehr der Heiterkeit, Philosophie der Lebenskunst“ ausführt:

„Die Heiterkeit realisiert sich vielmehr in einem erfüllten Leben, erfüllt vor allem von der Fülle des Lebens in seiner ganzen Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit, die sich in einem an Erfahrung reichen, weiten Selbst findet und die Symmetrie seines Lebens ausmacht. Keinerlei Einschluss in irgendwelche Endlichkeit, sondern Offenheit für die Dimension der Unendlichkeit, eine gedankliche Befreiung von der Erdenschwere, um aufs Neue und auf leichte Weise die Schwere zu tragen, deren Präsenz nicht zu ignorieren ist. Im säkularen Sinne fühlt dieses Selbst sich geborgen im Gewölbe des Kosmos, im religiösen Sinn handelt es sich um ein Sich-Ergeben der Erdenseele in Gottes Hand. Ultimativen Trost bedeutet dies in beiden Fällen, Getröstet-Sein aber ist das grundlegende Charakteristikum der Heiterkeit.“

An anderer Stelle schreibt Schmid:

„ Zur Gelassenheit gehört – das ist ihre Verwandtschaft mit der Ironie – der Blick von Außen auf die Dinge und Verhältnisse, um deren Bedeutung und Bedeutungslosigkeit besser zu erkennen und verhaltener auf sie zu reagieren. ....Weder Gleichgültigkeit noch Nachlässigkeit gehen daraus hervor, sondern die Haltung der Geduld. Mit Geduld ist nicht Demut gemeint, keine unterwürfige Haltung, sondern ein langer Atem, ein Warten-können, bis etwas herangereift ist, die Fähigkeit, sich selbst, Anderen und den Dingen Zeit zu lassen, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist und eine günstige Konstellation sich von selbst ergibt; auf den Zufall zu warten, der den richtigen Moment beschert, und sich disponiert zu halten für ihn, damit er einhaken kann und nicht abgleitet an der Glätte des Subjekts, das ohne ihn auszukommen hofft.“

Schmid: „Schönes Leben“- Einführung in die Lebenskunst, Ffm 2000

Und noch ein anderer Begriff berührt mich, der der Demut. Hier meine ich nicht den unterwürfigen Aspekt, den der Begriff heute häufig für viele (so anscheinend auch für W. Schmid, s.o.) hat, sondern der ein Verständnis für andere, die Natur und die Umwelt beinhaltet, das von Liebe getragen ist und den Anderen, das Andere mit Verständnis, Umsicht, Sorgfalt und Achtung und Achtsamkeit anschaut und ehrt.

„Die Demut ist ein Modus der Liebe, die sonnenmächtig allein das starre Eis zerbricht, das der schmerzensreiche Stolz um das immer leere Ich gürtet.“

Max Scheler: „Vom Umsturz der Werte“, Bern 1972



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