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Gruppenentscheidungen, die alle mittragen

von Christiane Welk – 14.12.2014

„Leute, lasst uns den Widerstand achten! Lasst ihn einmal zeigen, was er kann.
Lasst ihn uns doch betrachten. Denn nur dann, wenn wir ihn ansehen und seine Existenz zur Kenntnis nehmen, können wir ihm seine Aufgabengebiete zuweisen und verhindern, dass er dort stört, wo reibungsloses Zusammenspiel der Kräfte gefragt wäre.“

So oder so ähnlich war der Ausgangspunkt gewesen für Erich Visotschnig und seine Freunde, die das Systemische Konsensieren erdacht haben.
Gleichzeitig passt dieser Ansatz in das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation, heißt es doch hier unter anderem: Die Achtung vor einem Menschen zeigt sich in der Achtung vor seinem „Nein“ – es ist nach der GFK ein „Ja“ zu etwas anderem.

Wir kennen es alle: Bei Mehrheitsabstimmungen bleibt oftmals ein ungutes Gefühl zurück, gerade dann, wenn eine Entscheidung relativ viele Gegenstimmen bekommen hat. Und je nach Auszählungsform kann das Ergebnis unterschiedlich sein! Es gibt Sieger und Verlierer; Machtkämpfe können entstehen...

Systemisches Konsensieren ist ein Entscheidungsinstrument, kein Machtinstrument.Das ändert sich mit dem Systemischen Konsensieren!
Denn dies ist ein Entscheidungsinstrument, ohne ein Machtinstrument zu sein.

Beim Konsensieren wird jeder Vorschlag zu einem Thema oder Fragenkomplex einzeln bewertet in Hinblick darauf, wie er in meinen Toleranzbereich passt.

Er bekommt entweder 0 – 10 Punkte (Null bedeutet kein Widerstand, 10 Punkte stehen für den höchsten Widerstand) oder es wird mit den Händen gezeigt: Keine Hand erhoben = kein Widerstand, eine Hand = geringer Widerstand, zwei Hände= hoher Widerstand.

Als angenommen gilt dann der Vorschlag, der die wenigsten Widerstandspunkte erhalten hat. Im Umkehrschluss heißt das, dieser Vorschlag hat die größte Zustimmung erfahren.

Was dieses Verfahren für größere Gruppen, die nicht unbedingt am gleichen Ort zusammen sind, so attraktiv macht, ist die Möglichkeit der Online-Abstimmung. Hier werden auch die Widerstandspunkte in Zustimmungswerten ausgerechnet.
Auch mit ganz jungen Menschen – im Kindergartenalter- wurde dieses Verfahren schon erfolgreich erprobt, hier gab es dann z.B. diese Kriterien für die Abstimmung:

Grafik von Klaus Karstädt

Wie kann so ein Prozess konkret aussehen?

Stellt euch eine Organisation vor, in der es verschiedene Gruppen von Mitgliedern gibt, die bislang unterschiedliche Stimmrechte hat.

Da gibt es die Gruppenmitgliedschaft, die durch zwei Delegierte bei den Mitgliederversammlungen vertreten ist und das volle Stimmrecht hat. Dann gibt es Einzelmitglieder, die bislang noch kein Stimmrecht haben. Deren Zahl wird jedoch immer höher. Und: Die Mitarbeit der Einzelmitglieder ist für den Vorstand viel sichtbarer, während zu den Gruppen teilweise nur wenig Kontakt besteht.
Gleichzeitig hat der Vorstand dieser Organisation auch noch keine Vorstellung davon, wie er hier allen gerecht werden kann und äußert dieses auch ganz offen.

Die übergeordnete Fragestellung kann also lauten: Wer trifft die Entscheidungen in dieser Organisation?

Das klare Bild der Situation sieht so aus:

  1. Aus jeder Mitgliedsgruppe haben zwei Delegierte das volle Stimmrecht
  2. Einzel- oder Fördermitglieder haben kein Stimmrecht
  3. Es gibt inzwischen rein zahlenmäßig mehr Einzelmitglieder als Mitgliedsgruppen

Was sind die Wünsche an eine gute Lösung?

  1. Der Vorstand möchte gerne allen gerecht werden.
  2. Wer mitarbeitet, soll auch mitbestimmen können.
  3. Wir suchen ein Verfahren, bei dem auch über große Entfernungen jeder abstimmen kann.
  4. ...

Es sind sicher noch mehr Wünsche an die gute Lösung denkbar. Wenn alle diese Wünsche gefunden wurden, können die Beteiligten nun auf die Suche gehen und Vorschläge/Ideen/ Lösungen entwickeln. Jeder Vorschlag ist willkommen und wird notiert. Gleichzeitig wird auch eine Nulllösung (alles bleibt wie es ist) entwickelt.

Einwände werden in Form von Widerstandsstimmen ausgedrückt.Alle Lösungsvorschläge werden gründlich durchleuchtet.
Es findet eine vorläufige Bewertung statt und Einwände werden in Form von Widerstandsstimmen ausgedrückt. Bei sehr hohen Widerstandsstimmen empfiehlt es sich, die Anliegen und Bedürfnisse hinter den Einwänden anzuhören. Das kann einen längeren Prozess mit kurzen Zweiergesprächen untereinander geben. Manche Lösungsvorschläge werden dadurch u. U. noch einmal verändert.

Danach findet eine endgültige Bewertung und Entscheidung auf der Basis der Widerstandsstimmen statt.

Bei diesem ganzen (Online)-Verfahren können alle Mitglieder teilnehmen und ihre Vorschläge äußern bzw. Einwände oder Ideen zu den gemachten Vorschlägen einbringen und ihre Widerstandsstimmen abgeben und werden so in die Entscheidungsfindung einbezogen.

Die Auswirkungen auf die Politik kann man sich erträumen:

„Unter den Bedingungen des Konsensierens würden politische Gremien jeder Art wesentlich leichter, schneller und weniger kampfbetont entscheiden können. Blockaden wären ausgeschlossen. Alle politischen Parteien könnten im Parlament konstruktiv mitwirken... Es würde ein konstruktiver Wettbewerb aller Parteien um tragbare Lösungen stattfinden. Auch nachhaltige Lösungen, die nicht nur auf die nächsten Wahlen abzielen, wären damit durchsetzbar. Denn nun ginge es ja um das neue Erfolgskriterium, nämlich den „Konsenstreffer“ zu landen...
Unter den Bedingungen des „Konsensierens“ gilt das „Machtparadoxon“: Wer Macht auszuüben versucht, wird Ablehnung ernten. Damit ist er zur Erfolglosigkeit verurteilt. Daher werden Machtkämpfe kontraproduktiv.“

Gekürztes Zitat aus: Georg Paulus, Siegfried Schrotta, Erich Visotschnig: Systemisches Konsensieren- Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg, Danke-Verlag, 3. Auflage 2013



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